Tratsch ist wie Kitt, der Menschen zusammenhält – eine weitverbreitete Meinung. Klar, die psychologischen Gründe, warum wir tratschen, also um Zugehörigkeit und Verbindung herzustellen, sind nicht wegzudiskutieren. Und doch gibt es auch Aspekte, die wir nicht gleich auf dem Schirm haben, wenn wir mit einer Kolleg:in tratschen oder lästern.
Also lassen Sie uns mal schauen, was hinter dem Tratschen so alles stecken kann, und ob wir auch ohne Tratschen zum Ziel kommen – Zusammenhalt zu schaffen.
1. Die zweite Seite der Medaille „Tratsch“
Vielleicht kennen Sie das Gefühl: Sie betreten einen Raum und alles wird still, die Gespräche verstummen und alle Augen richten sich auf Sie. Was denken Sie in diesem Moment?
Ganz sicher haben die Anwesenden nicht über Sie gesprochen und doch bleibt ein mulmiges Gefühl … Genauso hinterlässt es eine Wirkung, wenn Sie sich mit Ihrer Freundin über z.B. die Klamotten der Nachbarin „austauschen.“ Mit dem „Austausch“ schaffen Sie eine Verbindung, Sie finden eine Verbündete und die „Betratschte“ steht außen vor und kann nichts tun. Ausgeschlossen zu sein, ist kein gutes Gefühl kann auch schnell bei so einfachen Dingen wie „Geschichten über`n Gartenzaun“ entstehen.
Wenn ich mich schon „austausche“, habe ich immer im Hinterkopf, die Dinge so zu formulieren, wie ich es auch den Nichtanwesenden sagen würde. So bleibe ich authentisch und kann meine Meinung jederzeit vertreten.
Einen kleinen Gedanken noch. Haben Sie sich schon mal gefragt: „Erzählen die Anderen auch über mich, wenn ich nicht dabei bin?“
2. What´s up to you?
Über einen Grund – Verbündete finden – haben wir eben schon gesprochen. Doch tratschen kann noch einen tieferen Sinn haben. Worum geht es wirklich, wenn ich mit anderen oder jemand mit mir tratschen möchte? Liegt dahinter vielleicht unbewusst eine Angst versteckt? Gibt es Misstrauen einer Situation gegenüber und über diesen Weg soll Aufklärung, Erleichterung oder Lösung erreicht werden?
Mache ich mir diesen möglichen Hintergrund bewusst, kann ich mich selber und die Anderen hinterfragen und direkt für Klarheit sorgen.
3. BeWERTungen
Wenn der Löwe um die Ecke kommt, macht es durchaus Sinn, schnell eine Bewertung – gut oder schlecht – parat zu haben. Beim Tratschen tauschen wir allerdings auch schnell gefasste Bewertungen aus und teilen sie miteinander. Und in 90% der Fälle, würde ich mal behaupten, ist dies Urteil nicht positiv. Generell neigen wir Frauen ja eher zu kritischer Bewertung, sei es unsere Leistung, die Figur oder ähnliches. Gemeinsames Tratschen wirkt unbewusst und verstärkt diesen Druck oder Leistungsgedanken. Wie wäre es denn, wenn wir uns von dieser Art der Bewertung freimachen und uns WERTschätzend annehmen?
Gülistan Tapti zeigte mir mit Ihrer Rückmeldung auf meine Reaktion ihrer geposteten Umfrage, wie schwer mir das selbst fällt. Vielen Dank für den Reminder, Gülistan! Wie schön ist es, wenn wir uns gegenseitig liebevoll daran erinnern, auch mit uns selbst liebevoll umzugehen?
4. „Wie das Innen, so das Außen“
– ist ein bekannter Spruch, der auf viele Bereiche übertragbar ist. Passt der auch auf Tratschen? Ich glaube JA. Wenn ich unzufrieden bin, kann „Tratschen“ eine Möglichkeit sein, damit umzugehen. Ich muss mich nicht mit mir beschäftigen, sondern kann schlecht reden, um mich dadurch besser zu fühlen.
Doch hilft das wirklich auf Dauer? Diesmal glaube ich NEIN. Es erfordert schon Mut, einmal nach dem Motiv für das „Lästern“ bei sich zu graben und dann auch an die Wurzel zu gehen.
Allerdings bin ich auch überzeugt, dass es dann einfacher wird, mit dem „Annehmen“ vom Anderssein der Anderen. Schließlich sind wir ja alle nur Menschen …
5. Finde die Lösung, nicht den Fehler
Das war die perfekte Überleitung zur Fehlerkultur! Ich sag immer, auch Fehler sind eine Leistung! Keiner macht Fehler mit Absicht, und wenn darüber „gelästert“ wird, habe ich den Eindruck, dass sich der/die „Lästernde“ über die Anderen erheben möchte. Nützt das dem Projekt? NEIN, und auch Ärgern ist nur sinnvoll, um den ersten Frust loszuwerden und den Kopf für Lösungen freizumachen.
Für mich ist es an der Zeit, generell den Umgang mit Fehlern zu überdenken. Mit einer vertrauensvollen Atmosphäre, in der Fehler gemacht werden dürfen, ist gemeinsame Entwicklung leichter. In Fehlern steckt soviel Potential zur Veränderung/ Verbesserung, egal ob für Praxisabläufe oder in der Persönlichkeitsentwicklung.
„Umwege erhöhen die Ortskenntnis“ – Zeit sich und sein Umfeld besser kennenzulernen – mit WERTschätzung und Lösungsorientierung und nachhaltiger ohne „lästern“.
6. Dampf ablassen
Auch das ist ein Aspekt von Tratsch. Einfach mal den Stress gleich raushauen und den Unmut loswerden – manchmal muss das einfach sein, nur eben anders.
Neulich habe ich ein Projekt das erste Mal mit Kunden durchgeführt. Das erste Feedback im Workshop war durchweg positiv, fast alles hat geklappt, ich super stolz und rundum zufrieden. Tage später erreichte mich das zweite Feedback direkt und zum Glück nicht erst über „Tratsch“. Nun wurde ich mitgerissen von meiner Welle aus Enttäuschung und nicht erfüllten eigenen Erwartungen. Ich saß tatsächlich am Boden und die Tränen liefen. In diesen Momenten ist es gut, Menschen um sich zu haben, die mit den Emotionen – Frust, Ärger, Traurigkeit oder auch Aggression – umgehen können und beim Sortieren helfen. Und nachdem diese Emotion ihren Raum hatte, war mein Kopf auch wieder frei für Ideen und Lösungen für einen neuen Anlauf. So schmerzhaft auch der erste Moment für mich gewesen ist, so dankbar bin ich für die offene direkte Ansprache!
7. Time to change – tratschfreie Zone
Seit 1600 kursiert bereits der Ausdruck „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu“. Wie wäre es denn, wenn wir diesen Spruch heute zum Anlass nehmen und eine „Tratschfreie Zone“ ausrufen? Das bedeutet, sofort dazwischen zu gehen und den Tratsch zu unterbrechen, wenn man ihn mitbekommt. Am Anfang ist das sicher ungewohnt und Achtsamkeit erfordernd. Wenn das Bewusstsein für den „Alltagstratsch“ und seine Wirkung allerdings geschaffen ist, dann ist es sicher entspannter und erzeugt eine vertrauensvolle, sichere Atmosphäre im Team.
Haben Sie Lust das auszuprobieren? Oder leben sie die „Tratschfreie Zone“ schon?
Was möchte ich mitgeben?
Tratschen hat gesellschaftlich eine Funktion und es lohnt sich hinter die Kulisse zu schauen. Für Menschen, egal ob Teams oder Freund:innen, ist ein vertrauensvoller, ehrlicher Umgang Grundlage für den Zusammenhalt. Und dafür brauchen wir Tratschen nicht. Wir können liebevoll miteinander umgehen und erreichen viel mehr, wenn wir es zusammen tun, statt einzeln und oder in konkurrierenden Grüppchen.
Ich bin auf Ihre Erfahrungen gespannt und freue mich von Ihnen zu hören, wie Sie mit Tratschen umgehen. Schreiben Sie mir dazu gerne!
Und wenn Sie Ideen für die Entwicklung einer vertrauensvollen Praxiskultur wünschen, unterstütze ich Sie gerne. Ich freue mich auf Ihre Nachricht!
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